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Die Praxis ohne Grenzen wird weiter gebraucht

  • Das Team der Praxis ohne Grenzen mit Diakonie-Geschäftsführerin Diana Marschke (dritte von links) und Propst Sönke Funck (vierter von links).
  • Dr. Achim Diestelkamp leitet die Praxis ohne Grenzen.
  • Die Tochter von Achim Diestelkamp hatte zum Jubiläum eine Praxis im Miniaturformat mitgebracht.

Rendsburg – Wer krank ist, dem wird geholfen. Das ist der Grundsatz der Praxis ohne Grenzen. Die ehrenamtlichen Ärzte und die Arzthelferinnen in der Moltkestraße 1 in Rendsburg haben in den vergangenen zehn Jahren schon einigen Menschen das Leben gerettet. Zu ihnen kommen diejenigen, die keine Krankenversicherung haben oder zumindest glauben, keine zu haben. Denn etwa die Hälfte der Menschen, die zur Praxis ohne Grenzen kommen, haben noch Anspruch auf Versicherungsleistungen, sagt Dr. Achim Diestelkamp, der die Praxis ehrenamtlich leitet. Dazu aber später. Zunächst ein Beispiel.

Ein 82-jähriger Kieler kommt bereits seit einigen Jahren in die Praxis. Der Grund: Er war selbstständig, hat seine Versicherungsbeiträge nicht gezahlt und hatte irgendwann Beitragsrückstände in Höhe von über 50.000 Euro. Ein Zeckenbiss führte zu einer lebensbedrohlichen Situation, er kam kurz ins Krankenhaus, ohne das die Ärzte feststellen konnten, was er hatte. Dafür erhielt er eine Rechnung über mehrere tausend Euro. Dann kam er nach Rendsburg in die Praxis ohne Grenzen. Die Ärzte halfen ihm, später unterstützten sie ihn noch bei einer Augenoperation. Heute ist er für sein Alter top fit und sagt: „Ohne die Praxis ohne Grenzen wäre ich nicht mehr am Leben.“

Dr. Achim Diestelkamp und seine Kollegen haben mehrere Fälle dieser Art erlebt. Manche Patienten aus der Kartei, die mittlerweile über 300 Namen enthält, kommen immer wieder zur Behandlung, berichtet er beim feierlichen Empfang zum Jubiläum der Praxis ohne Grenzen. „Aus unserem Spendentopf bezahlen wir dann Medikamente, Facharztuntersuchungen oder Krankenhausbehandlungen“, sagt Dieselkamp. Durch die gute Zusammenarbeit mit den Fachärzten oder der Imland-Klinik könne auch Menschen mit komplizierten Erkrankungen geholfen werden. Und für die gute Versorgung mit Medikamenten arbeitet die Praxis mit den Apothekern der Region zusammen. Manchmal aber kommt die Hilfe zu spät, denn manche Patienten kommen erst, wenn die Erkrankung zu weit fortgeschritten ist. Sie haben erst zu spät von dem Angebot gehört oder die Scham war zu groß.

Auch ein etwa 60-Jähriger aus der Region kennt dieses Gefühl. Niemand durfte wissen, dass er keine Krankenversicherung hat. „Man schämt sich“, sagt er. Schon dass er in dritter Person von sich redet, zeugt davon, dass dieses Gefühl noch immer da ist. Als selbstständiger Bauarbeiter bekam er nur unregelmäßig Geld, die Versicherung wollte aber regelmäßig die Beiträge einziehen. Einen Dispokredit bekam er vor etwa 20 Jahren nicht, als er selbstständig wurde. Und so war der Versicherungsschutz bald weg. „Wenn ich krank war, bin ich zur Apotheke und habe mir etwas geholt“, sagt er. Zum Glück war er meist gesund. Bis zum vergangenen Jahr. Zunächst halfen wieder Medikamente, dann aber nicht mehr. Er las von der Praxis ohne Grenzen in der Zeitung und kam in die Sprechstunde. Sie wird jeden Mittwoch von 16 bis 17 Uhr und jeden Donnerstag von 10 bis 11 Uhr abgehalten, die Ärzte und Helferinnen wechseln sich ab.

„So viel Wasser im Körper habe ich selten gesehen“, sagt Henning Schmidt. Er hat den Mann untersucht und sofort ins Krankenhaus geschickt. In der Imland-Klinik wurde ihm geholfen, für die Folgebehandlung ist nun die Praxis zuständig. „Sie sehen doch ganz gut aus“, sagt Schmidt dem Patienten. Die Wassereinlagerungen sind nicht mehr sichtbar.

Die beiden genannten ehemaligen Selbstständigen nimmt keine Krankenkasse mehr auf. Sie werden, so es keine Gesetzesänderung gibt, dauerhaft in der Praxis ohne Grenzen in Behandlung bleiben. Die Praxis wird also weiter gebraucht, dass sie nach wenigen Jahren überflüssig wird, war eine Hoffnung der Gründer, die sich nicht erfüllt hat. Dafür haben sie gelernt, wie wichtig die sozialmedizinische Betreuung ist. „Von den Patienten, die zu uns kommen und sagen: ,Ich habe keine Krankenversicherung‘, haben fast die Hälfte noch Versorgungsansprüche in der letzten Krankenversicherung. Mit den Versicherungen telefonieren und mailen wir und klären die Situation“, berichtet Achim Diestelkamp. Die Patienten bekämen ein Schreiben über das „Ruhen des Leistungsanspruchs“. Daraus schlössen sie, dass sie nicht mehr versichert seien, zumal die Versichertenkarte abgegeben werden muss. Aber: Nach dem Sozialgesetzbuch besteht noch ein Versicherungsanspruch für akute und schwere Erkrankungen. „Diese Patienten informieren wir, und meist ist die Erleichterung groß“, sagt Diestelkamp.

Neben der Behandlung und der Betreuung der Patienten mit dem Ziel, ihre Genesung zu befördern und sie möglichst wieder in eine Krankenversicherung zu bekommen, übernimmt die Praxis ohne Grenzen weitere Aufgaben. So stellt sie Kostenübernahmen für empfängnisverhütende Maßnahmen für die Familienplanung von Empfängern von Sozialleistungen aus. Dieses Projekt wird unterstützt vom Kreis Rendsburg-Eckernförde. Außerdem können sich in den Räumen Opfer häuslicher Gewalt mit Rechtsmedizinern treffen, um den Fall rechtssicher zu dokumentieren. „Durch diese ortsnahe Möglichkeit ist die Hemmschwelle niedriger und die Anfahrt kürzer. Ob die erhobenen Befunde letztlich verwendet werden, liegt dann ganz bei den Betroffenen“, sagt Achim Diestelkamp.

„Wir freuen uns darüber, dass wir die Arbeit seit zehn Jahren begleiten dürfen und können uns bei den Ehrenamtlichen nur bedanken“, sagt Diana Marschke bei der Feier zum Praxisjubiläum. Marschke ist Geschäftsführerin des Diakonischen Werks des Kirchenkreises Rendsburg-Eckernförde gGmbH, das die Praxis trägt. Propst Sönke Funck, im Kirchenkreis unter anderem zuständig für die Diakonie, bedankt sich ebenfalls für die diakonische Tätigkeit der Ärzte und Arzthelferinnen. Die Ehrenamtlichen handelten nach dem Prinzip des barmherzigen Samariters, sagt Funck. Sie zeigten Nächstenliebe und handelten nach dem Motto: „Dieser Mensch braucht jetzt meine Hilfe.“ Allerdings sei ein Jubiläum wie das zehnjährige der Praxis ohne Grenzen auch ein Stein des Anstoßes. Dass es eine solche Einrichtung brauche, sei kein gutes Zeichen für unsere reiche Gesellschaft, so Funck.